Braucht Literatur Performance?
Text: Estha Sackl
Irgendwie ist das schon widersprüchlich. Jetzt sitze ich hier in der Sonne an meinem Computer und warte darauf, dass sie mir einfallen. Die Worte, die Argumente, die perfekte Erklärung. Wie kann ich dich, lieber Leser oder liebe Leserin (Dass wir uns duzen ist doch in Ordnung? Beim Poetry Slam macht man das so.) davon überzeugen, dass Literatur Performance braucht- und zwar (Trommelwirbel) – ohne Performance?
Mein Problem ist folgendes: Ich bin Poetry Slammerin (Ja, das ist an sich auch schon ein Problem, aber ich will auf was Bestimmtes hinaus). Poetry Slam bedeutet, einen selbstgeschriebenen Text vor einem Publikum vorzutragen. Dabei darf und soll die bewusste Selbstinszenierung des Vortragenden die anschließende Bewertung der Zuschauer und Zuschauerinnen positiv beeinflussen und einen (hoffentlich) zum Gewinner des Abends küren.
Slammer schreiben ihre Texte also nicht, sie hören sie schon davor in ihrem Kopf. Sie fühlen sie in ihrer Brust. Sie denken nicht daran, wie sie sie aufschreiben werden, sondern wie sie wirken werden. Und dann schicken sie sie nicht auf einem Blatt Papier hinaus in die Welt und hoffen, dass sie gelesen und richtig verstanden werden. Nein. Sie stellen sich auf eine Bühne und schmettern sie den Hörern entgegen. Und zwar so, wie sie sie erschaffen haben. Sie leben die Geschichten in ihrem Kopf. Oder: Sie performen ihre Literatur.
Die Frage ist aber nun ja nicht, wie man Literatur umsetzen kann, sondern ob die Literatur Performance braucht. „Brauchen“ steht im Duden beschrieben als „nicht ohne etwas auskommen“ oder „nicht entraten können“ – aber auch als „verwenden“, „in Anspruch nehmen“. Und da wir die Literatur selbst nicht fragen können, was sie denn nun braucht, würde ich gerne ein paar Fragen in den Raum stellen.
Braucht eine Suppe Salz? Braucht das Leben die Liebe? Wie drängend kann Stille sein? Wie lange muss sie dauern, damit ein Flüstern danach laut klingt? Wie verzweifelt muss man sein, damit jede noch so leise Regung der Stimme zum erstickten Schrei wird? Und: Welches Gesicht gehört zum Satz: „C’est la vie“?
Worauf ich hinaus will: Die Intensität des Literaturerlebnisses sowohl als Schaffender als auch als Genießender erreicht durch Performance einen ganz neuen Horizont - manche Dinge brauchen zur formvollendeten Perfektion mehr als ein paar Buchstaben. Aber nicht nur das: Die Performance gibt dem Künstler oder der Künstlerin die Chance, es selbst in der Hand zu haben, wie sein oder ihr Werk in der Welt ankommt, wen es erreicht und wie es verstanden wird.
Bei Textperformance geht es darum, der Schrift eine Stimme zu geben. Den Worten Leben einzuhauchen. Das volle Potenzial, dass in ein paar Gramm Tinte steckt, zu entfalten. Der Poesie die Macht zu geben, aktiv zu werden anstatt passiv darauf zu warten, gelesen zu werden.
Es geht doch am Ende immer um das Fühlen. Auch in der Literatur. Und was passiert, wenn Literatur Performance trifft? Du fühlst. Auf jeden Fall können Worte für sich selbst stehen und es gibt wohl keine Notwendigkeit, der Sprache als solches Hilfsmittel wie Gestik, Mimik, Pausen, Betonung, Lachen, Schreien, Singen oder sogar Tanzen zu geben. Aber manchmal will Literatur Performance. Sie sehnt sich und sie drängt manchmal danach. Also verwenden wir Performance, um Literatur zu untermalen und zu unterstützen.
Im Endeffekt braucht die Literatur die Performance vielleicht nicht wie die Luft zum Atmen. Aber auf jeden Fall wie das Salz in der Suppe – oder wie das Leben die Liebe.
Estha Sackl
Die Kärntnerin ist aus Steindorf am Ossiacher See und lebt als Studentin Graz. Mit dem Studium der Biologie und Umweltkunde folgt sie ihrer Liebe zur Natur, um später auch in diesem Fach zu unterrichten. Ihre Leidenschaft fürs Schreiben, Zeichnen und Schauspielern sieht sie als Ausgleich zu ihrem Alltag. Diese lassen sich zudem sehr gut für die Slam Bühne verbinden. 2015 war Estha für den Ö-Slam in Innsbruck nominiert.